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🕑 9:44 Min. | Von Rebecca Hofmann | Zum Produkt

Ich mag Zwerge. Ich mag ihre pausbäckigen, lustigen Gesichter. Ihre Erdverbundenheit. Die Bärte. Die Zipfelmützen. Ich mag die vielen phantastischen und spannenden Geschichten, die sich um die kleinen Kerlchen ranken. Ob Wilhelm Hauffs „Zwerg Nase“ und „Der kleine Muck“, J. R. R. Tolkiens Zwergenschar um Thorin Eichenschild, den Thronerben von Erebor, im „Kleinen Hobbit“, Gimli aus dem „Herrn der Ringe“ sowieso, die Kölner Heinzelmännchen oder die berühmten Chef, Brummbär, Happy, Hatschi, Schlafmütz, Pimpel und Seppl aus Walt Disneys Filmklassiker „Schneewittchen“ – Zwerge in ihren verschiedenen Erscheinungsformen haben mich weit über meine Kindheit hinaus begleitet. Und ich bin nicht allein: Auf den jährlichen Tolkientagen beispielsweise sind ihre Fans gleich hundertfach anzutreffen. Und selbst wenn man Zwerge im Allgemeinen nicht verehrt, so stehen ihnen die meisten phantasieliebenden Menschen doch zumindest neutral gegenüber.

Nur an einer Zwergenart scheiden sich die Geister: Der gemeine Gartenzwerg ist der Spaltpilz im Schrebergartenbeet – die, die ihn haben, lieben ihn; die anderen hauen ihm auf die Mütze. Und seinen Besitzhabenden gleich dazu. Kleinlich, engstirnig und konservativ sollen sie sein, die Menschen, die ein Herz für Gartenzwerge haben. Manch einer hält sie gar für geistig ebenso unbeweglich wie die Kitsch-Wichtel auf ihrem Rasen. Aber warum ist das so? Wie kommt der Gartenzwerg zu seinem zweifelhaften Ruf, des Spießers bester Buddy zu sein?

Immerhin blickt er auf eine lange Tradition als Goldschmied mit magischen Fähigkeiten (Germanen), Schutzgeist und Wächter (Ägypter), Fruchtbarkeitsgott (Griechen), Gott der Gärten (Römer) sowie Statussymbol europäischer Könige und Fürsten (15. Jahrhundert) zurück. Noch Mitte des 17. Jahrhunderts lösten die Zwergenkarikaturen des Künstlers Jaques Callot unter Gutbetuchten einen wahren Hype um die kleinen Kerlchen aus, der einige Hundert Jahre später in den berühmten Zwergengarten des Salzburger Schlosses Mirabell gipfelte. Dessen 28 Marmorfiguren sind noch heute zu bewundern.

Selbst in moderneren Zeiten genoss er als märchenhafter Berggeist, fleißiger Helfer und gutmütiger Beetbeschützer zunächst noch einen guten Ruf. Vor allem als Philipp Griebel im thüringischen Gräfenroda 1872 mit der ersten Serienproduktion begann. Endlich war der Gartenzwerg auch fürs normale Volk erschwinglich und der tönerne Gnom in traditioneller Bergmannstracht und roter Zipfelmütze verbreitete sich wie Beikraut in deutschen Gärten.

Bis heute helfen Griebels alte Formen auch neuen Zwergenkörpern für Manufactum auf die Welt, obwohl sie das nicht mehr in Griebels eigenem Namen tun, sondern mittlerweile der Zwergstatt Gräfenroda gehören. Doch Eigentumsfragen hin oder her, es sind und bleiben echte Originale, die hier das Licht der Welt erblicken. Und wer ein solches freundliches Kerlchen kauft, stellt sich mittlerweile sogar einen Teil des immateriellen Kulturerbes Thüringens auf seinen Rasen.

Und trotzdem konnte irgendwie ein derartiger Imageverlust entstehen, dass sich im Jahr 2001 selbst ein blau-gelber Möbelgigant dazu verleiteten ließ, bei einer Filialeröffnung mit der Aussage „Schluss mit dem Muff“ zu werben und dafür – zum Ärger der Deutschen Bahn – einen anscheinend des Lebens überdrüssigen Gartenzwerg bildstark auf Gleisen zu platzieren.

Liegt es etwa an seinem Phänotyp? Denn man kann es nicht leugnen, hier blickt uns in den allermeisten Fällen ein, wenn auch sehr kleiner, alter weißer Mann entgegen. Aber ist es gerechtfertigt, den Gartenzwerg deshalb gleich zum Statement eines patriarchalen Spießertums aka Herrschsucht, Rassismus und Sexismus zu degradieren? Der guckt doch immer so freundlich, und zwar völlig egal, wer gerade vor ihm steht. Und seien wir mal ganz ehrlich: Sieht nicht so mancher zwergenverachtende Hipster mit Vollbart und Mütze selbst ein wenig aus wie …? Aber bleiben wir beim Original.

Das steht nämlich ganz und gar nicht in dem Ruf, sich von irgendwelchen Ismen beeindrucken zu lassen. Aus weiblicher Perspektive kann ich beispielsweise sagen: Mansplainende Zwerge sind mir bis dato völlig unbekannt. Der gewöhnliche, echte beseelte Gartenzwerg – in der Forschung auch „Nanus Vulgaris Hortorum Animatus“ genannt – besitzt eine eher ruhige Natur. Das von Feministinnen oft kritisierte zipfelimmanente Besserwissertum überlässt er selbstbewusst den Prahlhänsen mit deutlich über 64 Zentimeter Körpergröße.

Ich glaube, das ist vor allem seiner Urfreundlichkeit geschuldet, einem Must-have für jeden Anwärter auf das Gartenzwerg-Echtheitsprädikat. Kollegen mit erhobenem Distanzfinger oder heruntergelassenen Hosen, die durch ihre provokative Haltung immer wieder zu handfesten Gerichtsprozessen führen, sowie anderweitige Gruselgenossen mögen unter gartenbesitzenden Banausen zwar zu dem ein oder anderen Schenkelklopfer führen, haben unter echten Gartenzwergen allerdings nichts verloren. Auch die berüchtigten Mordopfer scheiden aus, zu oft haben sie sich schon dafür benutzen lassen, billig an Alkohol zu kommen. Der böse Trend, einen echten Gartenzwerg so lange durch sein erdolchtes Pendant zu ersetzen, bis der Besitzhabende eine Flasche Bier neben dem „Toten“ platziert, hätte ohne dessen Komplizenschaft gar nicht erst entstehen können.

Der Ruf der Urfreundlichkeit, der den echten Gartenzwerg begleitet, geht sogar so weit, dass er manche Menschen zu ungeahnten Solidaritätsbekundungen motiviert. Besonders die, deren Helfersyndrom er ordentlich triggert. So „rettete“ die französische „Front zur Befreiung der Gartenzwerge“ Ende der 1990er Jahre in nächtlichen Streifzügen immer wieder scheinbar hilflose Gnome aus ungesicherten Vorgärten. Die so ihrer vertrauten Umgebung Entrissenen wurden von den Aktivisten dann irgendwo in die freie Natur entlassen, damit sie dort glücklich und selbstbestimmt weiterleben konnten.

Ein echter Gartenzwerg steht mitsamt seiner roten Mütze also immer für eine besondere Güte, die sich bei Besitz mehrerer Exemplare sogar noch potenzieren soll. Der liebenswerte Gnom bringt deshalb Glück ins Beet und seine fröhliche, hilfsbereite Stimmung färbt zwangsläufig auf die Umgebung ab. Probieren Sie es ruhig einmal aus.

Es existiert meines Wissens nur ein einziger moderner, gesellschaftlicher Disputschauplatz, auf dem der Gartenzwerg wirklich schlecht abschneidet, und der betrifft eine sprachliche Komponente: Zwar gibt es wohl weibliche Exemplare, aber die sind erstens umstritten und zweitens sowieso eher selten gesät. Und bei ihrer Benennung ist die 1984 in Basel gegründete „Internationale Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge“ (IVZSG), die sich ganz der Nanologie (der Wissenschaft über Gartenzwerge) verschrieben hat, außerdem mehr als deutlich: Auch die heißen Zwerge. Punkt. Für tolerante und aufgeschlossene Zeitgenoss*innen ist so eine Aussage natürlich ganz dünnes Eis. Aber reicht sie aus, um 25 Millionen Gartenzwerge aus deutschen Vorgärten zu canceln?

Immerhin ist da noch die dem Gnomen eigene Naturverbundenheit, die für ihn spricht. Ein echter Gartenzwerg muss seine Liebe zu Feld, Wald und Flur nicht extra beweisen, sein Auftritt im Garten ist Statement genug. Selbst aus Rohstoffen wie Ton oder Terrakotta hergestellt, die seine natürliche Herkunft betonen (auch Exemplare aus Stein oder Holz wurden schon gesichtet), und ausgestattet mit fachgerechter Arbeitskleidung sowie manchem Werkzeug in der Hand, zeigt der Wichtel deutlich seine erd- und pflanzenverbundene Haltung. Die Sorge für seine lebendige Umwelt ist ihm somit in die Wiege gegossen. Und das ist doch äußerst progressiv. Der gemeine echte Gartenzwerg steht klar auf der guten Seite der (Schrebergarten-)Macht. Glattbetonierte Vorgartenflächen sind ihm genauso ein Graus wie glattrasierte Zwergenwangen. Und damit kann ich mich durchaus identifizieren.

Umweltfrevel aller Art tut ihm in der Seele weh. Denn ja, echte Gartenzwerge sind allesamt „beseelte“ Kreaturen. Auch das macht ihre Echtheit aus. „Beseelt“ meint hier, dass ein lebender Mensch dem standhaften Kerlchen etwas Eigenes hinzugefügt hat. Eine Tatsache, der die Zwergstatt Gräfenroda insofern Rechnung trägt, als dass sie jedes einzelne Exemplar, das ihre Produktion verlässt, Pinselstrich für Pinselstrich in Handarbeit bemalen lässt. Eine Schicht Klarlack sorgt außerdem dafür, dass die so erworbene farbenprächtige Individualität langfristig und witterungsbeständig glänzen kann. Übrigens: Falls der Zwerg noch keinen Namen hat (es gibt solche und solche im Manufactum Sortiment), müssen Sie ihm schnell einen geben, auf dass dieser „seine Freundlichkeit dann in der Potenz noch liebenswerter macht“ (sagt zumindest die IVZSG).

Ich komme also zu dem Schluss: Bis auf eine kleine terminologische Verwerfung kann ich kein Spießertum im Gartenzwerg erkennen, dafür aber Toleranz, Freundlichkeit und die Liebe zur Natur. Ich mag also Zwerge, Gartenzwerge eingeschlossen. Die lustigen, lebensfrohen Gesellen haben, jedem Vorurteil zum Trotz, einen Stollen tief in mein Herz gegraben. Und sollte ich irgendwann einmal einen eigenen Garten besitzen, haben Horst, Artur und wie unsere Sortimentszwerge sonst noch heißen ihren Platz in meinen Beeten sicher. Und wenn mich dann jemand als Spießerin bezeichnet, werde ich mit einem urfreundlichen Lächeln darauf reagieren und einem ganz entspannten „Zipfel auf!“